Das Potenzial liegt in der Stille: Introvertierte am Arbeitsplatz

In einer Gesellschaft werden sowohl stille wie auch laute Menschen gebraucht. Doch es zeigt sich, dass Introvertierte oftmals den Kürzeren ziehen – vor allem im Arbeitsleben. Was bedeutet es eigentlich, introvertiert oder extrovertiert zu sein?

Gleich zum Anfang: Introversion ist nicht gleichzusetzen mit Schüchternheit. Entgegen der landläufigen Meinung handelt es sich bei den Begriffen nicht um Synonyme. Natürlich gibt es introvertierte Menschen, die auch schüchtern sind, sie müssen es aber nicht sein. Der Unterschied besteht darin, dass Schüchternheit immer ein Stück weit mit Angst zu tun hat, Introversion hingegen nicht.

Die Bezeichnungen Introversion und Extroversion stammen von Carl Gustav Jung, der sie als Merkmale, die eine Persönlichkeit grundlegend prägen, definierte. Dabei sind die menschlichen Funktionen Denken, Fühlen, Intuition und Empfinden entweder nach innen (introvertiert) oder nach außen gerichtet (extrovertiert). Sogar hirnphysiologisch unterscheiden sich intro- und extrovertierte Menschen voneinander. Bei Introvertierten weisen die Synapsen eine höhere Sensibilität und Konnektivität auf, das heißt, bei ihnen kommt es schnell zur Reizüberflutung und sie verbrauchen viel mehr Energie, wenn sie versuchen, die Umwelt um sich herum zu verarbeiten.

Bin ich intro- oder extrovertiert?

Jeder Mensch wird mit einer Tendenz zur Introversion oder Extroversion geboren. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Tendenzen auch bei jedem im gleichen Maße ausgeprägt sind. Jeder verfügt prinzipiell erst einmal über beiderlei Eigenschaften.

Typisch introvertierte Menschen brauchen eine Rückzugsmöglichkeit. Um ihre Akkus zu regenerieren, müssen sie auch mal allein sein können. Das kann der typische Extrovertierte gar nicht verstehen: Er blüht so richtig auf, wenn er auf einer Party ist, Kontakt mit anderen Menschen hat und handeln kann. Für extrovertierte ist der persönliche Raum wenig wichtig. Im Gegenteil, sie brauchen Stimulation durch andere Menschen, Orte und Aktivitäten. Die Introvertierten ziehen sich nach Unternehmungen erst einmal zurück. Sie mögen keinen Small Talk und finden oberflächliche Gespräche und Kontakte anstrengend. Introvertierte Menschen beschäftigen sich gerne mit ihren eignen Gedanken und arbeiten am liebsten alleine und in Ruhe.

Introversion ist nicht minderwertig. Menschen, die nach innen gerichtet sind, ticken einfach nur anders. Dennoch kommt es oft gerade in der Berufswelt vor, dass sie neben den extrovertierten Menschen gar nicht auffallen. Für den Arbeitsalltag kann das Nachteile haben.

Bewerbungsgespräch und Introversion

Für introvertierte Menschen sind Bewerbungsgespräche anstrengend. Sind sie zusätzlich dazu auch noch schüchtern, dann wird es noch schwieriger. Introvertierte machen nicht gerne auf sich aufmerksam, verkaufen sich nicht gerne – warum sollen sie dann gerade die besten für den Job sein? In der heutigen Zeit sollen alle am besten gesellig, risikofreudig und vor allem Teamplayer sein.

Vor einem Bewerbungsgespräch ist es daher für introvertierte oder schüchterne Menschen wichtig das, was möglich ist, einzustudieren. Intros mögen es nicht, wenn sie unvorbereitet in eine Situation geschmissen werden. Daher ist es sinnvoll, sich vor dem Gespräch bereits mögliche Antworten auf Fragen zu überlegen und diese auch auswendig zu lernen. Durch den erhöhten Druck fällt es Introvertierten oftmals schwer schnell zu einer Antwort zu kommen und sie verstricken sich in Sätzen und ihren sprunghaften Gedanken. Die Selbstdarstellung ist für viele Intros sehr schwer. Sie neigen eher dazu bei sich selbst nach Fehlern zu suchen als ihre Stärken hervorzuheben.

Dabei haben zurückhaltende Menschen nicht unbedingt einen Nachteil. Zum Teil würden sie sogar den Lauten vorgezogen werden. Denn die Personaler fürchten, dass zu dominante Bewerber Unruhe an den Arbeitsplatz mitbringen.

Still und leise im Job

Am Arbeitsplatz aufzufallen ist für viele introvertierte Arbeitnehmer nicht einfach. Sie sind schlicht nicht so auffällig wie ihre extrovertierten Kollegen. Sie müssen daher aufpassen, dass ihre Erfolge nicht untergehen. Ein Weg kann es sein die tagtäglichen Leistungen explizit zu Papier zu bringen, denn Introvertierte wissen oft selbst gar nicht, was sie eigentlich leisten – und sind dementsprechend nicht die Ersten, wenn es um eine Beförderung geht. Es fällt Intros nicht leicht ihren Vorgesetzten zu sagen, was sie wollen und was sie denken. Nach Möglichkeit gehen sie Konflikten aus dem Weg.
In der Arbeitswelt werden Extrovertierte als der Standard angesehen. Wer erfolgreich sein will, muss laut sein, sein Erreichtes gerne präsentieren und Menschen aktiv für sich gewinnen können. Doch genau so sind Intros eben nicht. Durch ihre unterschiedlichen Arten brauchen Intros und Extros unterschiedliche Arbeitsbedingungen. Wie bereits erwähnt arbeiten die Gehirne bei introvertierten Menschen anders. Wie sollen sie dann aber in der gleichen Umgebung arbeiten wie Menschen, die nach außen gewendet sind?

Für Intros eignen sich Einzelbüros am besten. In einem Großraumbüro sind sie schnell überfordert. Das Gegenteil trifft für Extros zu. Wenn die Möglichkeit besteht, sollten Intros allein untergebracht sein, damit sie ihre beste Leistung erzielen können. Ist das nicht möglich, sollten sie nach Gelegenheiten suchen, sich auch einmal zurückzuziehen. In der heutigen Zeit, wo Teamarbeit groß geschrieben wird, sieht es niemand gerne, wenn sich ein Mitarbeiter in der Mittagspause einen stillen Platz sucht, alleine isst und nicht gestört werden will. Sie wirken schnell arrogant, vielleicht auch etwas seltsam. Dabei brauchen Intros diese Ruhe einfach.

Es ist also für Intros nicht immer einfach am Arbeitsplatz. Doch auch Extros haben ihre Probleme. Keine der beiden Gruppen sollte bevorzugt behandelt werden. Dennoch können Vorgesetzte helfen, Arbeitsbedingungen anpassen und auf die nach innen gewendeten Mitarbeiter speziell zugehen. Anderseits sollten Intros versuchen, gelegentlich auch mal ihre Komfortzone für einen Moment zu verlassen.